Aus EIN mach ZWEI – Teilung der Studiengänge Historische und Systematische Musikwissenschaft

Von Vera Komeyer

Die Musikwissenschaft trat und tritt in der Lehrtradition deutscher Universitäten häufig als Einheit auf. Guido Adler hingegen stellte bereits 1885 die Musikwissenschaft als Fachgebiet dar, welches sich auf zwei Säulen stützt, der Historischen und Systematischen Musikwissenschaft.1 Obwohl alle Teilbereiche die wissenschaftlich-theoretische Beschäftigung mit Musik im Fokus haben, passiert dies doch mit je ganz eigenen Schwerpunkten, Blickwinkeln und Methoden.

Das Musikwissenschaftliche Institut in Hamburg erkannte bereits 1970 die Entwicklung der Fachzweige hin „zu eigenen Disziplinen mit besonderen Forschungsmethoden“. Obwohl es damals einen historischen Fokus in der Hamburger Musikwissenschaft gab, interessierten sich die Studierenden anhaltend auch für deren systematischen Aspekte.2 Dieser Wissbegierde konnte zwar nachgegangen werden, allerdings nur in ergänzender Arbeit zum historischen Fokus des Studiengangs. Das damals schmalere Lehrangebot in der Systematik schränkte dabei die Möglichkeiten ein. Außerdem erforderte der „große stoffliche Umfang“ beider Gebiete einen großen Mehraufwand.3

 

Abbildung 1: Erster Antrag zur Teilung der Studiengänge, 25. Mai 1970, S. 1
Abbildung 2: Erster Antrag zur Teilung der Studiengänge, 25. Mai 1970, S. 2

Dies machte aus Sicht des damaligen Lehrkörpers eine Teilung des Studiengangs Musikwissenschaft in die beiden getrennten Studiengänge Historische und Systematische Musikwissenschaft notwendig. Doch wie konnte eine solche Teilung umgesetzt werden? Der nachfolgende Text widmet sich im ersten Abschnitt in zeitlich chronologischer Abfolge den formal notwendigen Schritten der Teilung (s. Abb. 1 & 24). Es folgt eine Darstellung der inhaltlichen Entwicklung der Studienordnungen vor, während und nach der Aufspaltung, bevor ein detaillierter Blick auf konkrete Studieninhalte geworfen wird. Hier soll die Entwicklung der Lehrinhalte vor und nach der Studiengangstrennung und die Rolle der Lehrpersonen im Fokus stehen.

 

Spurensuche im bürokratischen Labyrinth – Ablauf der Studiengangsteilung
Abbildung 3: Ablauf der bürokratischen Schritte zur Teilung der Studiengänge

Ein Protokoll des Institutsrats des Musikwissenschaftlichen Instituts vom 3. März 1970 dokumentierte zum ersten Mal den Plan, die Systematische Musikwissenschaft zu verselbständigen (s. Abb. 35). In Folge eines einstimmigen Beschlusses im Institutsrat sendete Prof. Dr. Georg von Dadelsen als geschäftsführender Direktor am 25. Mai 1970 den ersten Antrag zur Teilung der Studiengänge an den Fachbereichsrat Kulturgeschichte und Kulturkunde.6 Wegen mangelnder Fortschritte in der Antragsstellung bis Ende Oktober 1970 sollte von Dadelsen im Auftrag des Institutsrats die Teilung durch ein Schreiben an den Fachbereich beschleunigen und auf Bedenken aus anderen Fachbereichen eingehen.7 Jedoch bewirkten weder der Antrag vom Mai 1970 noch das Schreiben vom Oktober 1970 eine Reaktion des eigenen Fachbereichs zum Stand der Dinge. Aus diesem Grund wollte der Institutsrat Anfang Juli 1971 erneut schriftlich beim Fachbereichsrat die Lage erfragen und klären, ob es neue Stellungnahmen zum Antrag aus den anderen Fachbereichen gäbe. Kurz vor Weihnachten 1971 berichtete dann der neue kommissarische geschäftsführende Direktor Prof. Dr. Constantin Floros, dass der Prozess nach wie vor durch ausstehende Äußerungen und Bedenken aus anderen Fachbereichen verzögert würde. Deshalb wollte man sich Ende April 1972 mit den Vorsitzenden des gemeinsamen Ausschusses der Fachbereiche zusammensetzen. Erst Ende April 1973 stimmte der Fachbereich Kulturgeschichte und Kulturkunde in Abstimmung mit den anderen Fachbereichen dem Antrag zur Teilung der Studiengänge schließlich zu.

Die nächste Instanz, der Senatsausschuss für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs,8 lehnte den Antrag im Januar 1974 jedoch ab.9 Wiederum ein neuer Antrag des Institutsrats sollte die Argumente des Ausschusses entkräften. Zudem wurde darum gebeten, Dr. Peter Petersen als Vertreter der Musikwissenschaft zur relevanten Sitzung des Ausschusses einzuladen.10 Durch diese Maßnahmen stimmte der Akademische Senat schließlich am 2. Dezember 1974 der Teilung des Studiengangs Musikwissenschaft in die beiden Studiengänge Historische und Systematische Musikwissenschaft zu.

Nach der Darstellung der notwendigen rechtlichen und bürokratischen Schritte für die Einführung des eigenen Studiengangs Systematische Musikwissenschaft soll nun die Entwicklung der groben inhaltlich-strukturellen Aspekte der Teilung erläutert werden.

Emanzipation der Systematischen Musikwissenschaft in der Studienordnung

Eine Studienordnung bildet das Gerüst eines Studiengangs. Sie beinhaltet Aufnahmekriterien, eine empfohlene oder vorgegebene Studienstruktur und liefert den groben inhaltlichen Rahmen – zumindest seit 1969. Vorher wurden inhaltliche und strukturelle Vorgaben meist mündlich oder in sogenannten Studienführern, kleinen Merkheften für Studierende mit Informationen rund um die Universität, weitergegeben.11

Im Studienführer von 1967 schrieb von Dadelsen ganz klar, dass der Fokus des musikwissenschaftlichen Studiengangs auf der Musikgeschichte liege.12 Nach einem viersemestrigen Grundstudium mit Proseminaren beispielsweise zur „Geschichte des Instrumentalkonzerts“, „Übungen zur Motette um 1500“, „Übungen zu den Klavierwerken J. S. Bachs“ oder auch einer „Einführung in den gregorianischen Choral“,13 konnte bei erfolgreicher Zwischenprüfung zum viersemestrigen Hauptstudium übergegangen werden.14 Dessen Hauptveranstaltungsform, die Hauptseminare, boten u. a. „Ästhetik der Oper“, „Tropus und Sequenz“, „Rhythmische und harmonische Probleme der Musik seit 1900“ oder „Bachs Parodieverfahren“ an.15 Ergänzend erwarteten die Lehrenden von den Studierenden den Besuch von Vorlesungen und weiteren Seminaren,16 deren Inhalte von „Beethovens Streichquartett“ bis zur „Analyse ausgewählter Werke der atonalen Musik“ reichten.17 Die Systematische Musikwissenschaft wurde hingegen nur als Spezialgebiet gepflegt und galt nicht als eigenes Prüfungsfach.18 Eine systematische Abschlussarbeit war indes möglich, diese Spezialisierung wurde aber erst nach dem Grundstudium empfohlen.19

Zwischen diesen Richtlinien vom Ende der 1960er Jahre und der ersten Studienordnung für die beiden getrennt studierbaren Fächer Historische und Systematische Musikwissenschaft im Wintersemester 1975/1976 zeigten verschiedene Entwürfe von Studienordnungen ein prozesshaftes Umdenken in der Fachauffassung. Die historische Sichtweise der 1960er Jahre auf die Musikwissenschaft wich bereits 1970, dem Jahr des ersten Teilungsantrags, einer immer gleichwertigeren Betrachtung der Fächerzweige.20 Dieses Umdenken zeigte sich einerseits im Umfang der Darstellung der Systematischen Musikwissenschaft (ein Absatz in der Studienordnung von 1966 im Vergleich zu einem eigenen Kapitel ab 1970). Andererseits erlaubten die inhaltlichen Vorgaben der Studienordnungsentwürfe nun nicht mehr nur vorrangig historische Themen, sondern ein Spektrum von einer geschichtlichen Betrachtung bis zu einer akustisch, physikalischen Sichtweise auf Musik.21 Nach der Bewilligung der beiden geteilten Studiengänge Historische und Systematische Musikwissenschaft im Dezember 1974 gipfelte diese Entwicklung in einer Studienordnung für das Wintersemester 1975/1976, die beide eigenständigen Fächer gleichberechtigt behandelte. Dabei waren sie nur noch durch eine Empfehlung zur gegenseitigen Nebenfachwahl verbunden.22

Inhaltlich sah man in diesen neuen Studienordnungen das Ziel der Historischen Musikwissenschaft darin, die „Musik der Vergangenheit und Gegenwart philologisch, historisch, theoretisch und analytisch zu erforschen“.23 Konkret umgesetzt wurde dies durch das Angebot von Veranstaltungen wie „Notationskunde“ I–III, „Werkanalyse“ I und II, Praktika mit Aufführungsversuchen älterer Musik und Proseminaren zur Gattungsgeschichte oder Stilkunde. In der Systematischen Musikwissenschaft hingegen fokussierte man sich weniger auf die Untersuchung von Musik aus geschichtlicher Perspektive, sondern mehr auf einen personen- und objektbezogenen Ansatz. Das Erkenntnisinteresse war hier, die „Gesetzmäßigkeiten des musikalischen Erlebens und Verhaltens sowie die darauf bezogenen Objektbereiche zu erforschen“.24 Den Kern bildeten jeweils eine Übung in Verbindung mit einem Praktikum in Methodenlehre, Musikpsychologie und musikalischer Akustik. Proseminare zu wichtigen Themen der Systematischen Musikwissenschaft ergänzten diese Grundlagen. Die in Hauptseminaren besprochenen ungelösten Forschungsthemen rundeten das Angebot zusammen mit Vorlesungen zu erschlossenen Themenkomplexen ab.

Klar ist nun, welche groben inhaltlichen und strukturellen Vorgaben die Studierenden vor und nach der Teilung hatten. Doch wie beeinflussten diese Veränderungen das Lehrangebot und in welcher Beziehung stand wiederum die Lehre mit der Personalsituation am Musikwissenschaftlichen Institut?

Auf dem Weg zur Gleichberechtigung – Die Entwicklung der Lehre in Systematischer und Historischer Musikwissenschaft

Ein Lehrangebot ist oft mit personellen Gegebenheiten an einem Institut verbunden. Durch die persönlichen Forschungsschwerpunkte der Dozenten entstehen meist auch thematische Kernpunkte in der Lehre. Das Lehrangebot verändert sich dabei quantitativ und qualitativ nicht plötzlich, sondern fließend. Abbildung 425 veranschaulicht einen solchen quantitativen Verlauf für das Musikwissenschaftliche Institut zwischen dem Sommersemester 1959 und 1982.

Abbildung 4: Anzahl der Lehrveranstaltungen mit thematischem Schwerpunkt Historische bzw. Systematische Musikwissenschaft von 1959 bis 1982

Der Blick zurück zum Anfang der 1950er Jahre zeigt ein noch schmales Lehrangebot mit v. a. historisch musikwissenschaftlichen Themen wie der „Einführung in die Musikgeschichte“26 oder „[der] ‚Klangrede’ bei Händel und Bach“. Dennoch gab Prof. Dr. Wilhelm Heinitz (s. Beitrag zu Heinitz’ „Etablierung eines neuen Forschungszweiges“) mit Lehrveranstaltungen zu „Takt und Rhythmus“27 oder „Musik und Bewegung“28 bereits Einblicke in die Systematische Musikwissenschaft. Mit einer Vorlesung „Einführung in die Akustik“ inkl. Übung, positionierte sich Dr. Hans-Peter Reinecke im Sommersemester 1955, dem Beginn seiner Lehrtätigkeit am Institut, wesentlich klarer in der Systematischen Musikwissenschaft und ermöglichte damit deren Etablierung in Hamburg.29 Bis in die 1970er Jahre vertrat v. a. Reinecke die Systematische Musikwissenschaft. Veranstaltungen waren beispielsweise die „Einführung in die Raumakustik“30 oder „Tonpsychologie und Musikpsychologie“31. Zudem bot er im Laufe der 1960er Jahre eine „Einführung in die systematische Musikwissenschaft“32, ein Praktikum zu „[a]kustischen Untersuchungen an Musikinstrumenten“33 und „Informationstheorie in der Musikwissenschaft“34 an.

Einen deutlich größeren Anteil bildete jedoch die Lehre der Historischen Musikwissenschaft. Hier stieg die Anzahl der Veranstaltungen merklich ab dem Sommersemester 1961, dem Beginn der Amtszeit von Georg von Dadelsen als geschäftsführender Direktor am Institut.35 Insbesondere zusätzliche Vorlesungen – thematische Beispiele sind hier „Richard Strauss“, „Alban Berg“ oder auch „Hamburg im Spiegel der allgemeinen Musikgeschichte“36 – verstärkten das bisherige Angebot der Proseminare und Seminare. Mit einem breiten Spektrum von mehreren Veranstaltungen zur allgemeinen Musikgeschichte und Grundfragen der Stilkunde, über Vorlesungen und Seminare zu einzelnen Komponisten, bis hin zu ganz speziellen Themen wie der „[m]ehrstimmige[n] Musik im 12. und 13. Jahrhundert“ bot sich den historisch interessierten Studierenden von 1963 bis 1970 ein anhaltend umfangreiches thematisches Feld.37

Das oben genannte Umdenken in der Auffassung der Fachzweige seit etwa 1970 spiegelte sich auch langsam in der angebotenen Lehre wider. Durch die Tätigkeit von Dr. Helga de la Motte ab dem Sommersemester 1971 differenzierte sich das Angebot in der Systematischen Musikwissenschaft vorübergehend aus. Zusätzliche Veranstaltungsthemen waren beispielsweise „Musikpsychologie II: Begabung, Motivation, Lernen“ oder „Neue Wege der Klangsynthese“.38

Nach der offiziellen Teilung der beiden Studiengänge 1975 dozierte Dr. Horst-Peter Hesse, Gastdozent aus Göttingen, ab dem Sommersemester 1975 als erster eigens für die Systematische Musikwissenschaft angestellter Lehrbeauftragter nach der Teilung.39 Trotzdem benötigte die Systematische Musikwissenschaft eine gewisse Zeit, um sich zu etablieren. Mit dem Beginn von Dr. Vladimir Karbusickys Arbeit am Institut ab Wintersemester 1976/1977 (ab Sommersemester 1977 bereits Professor), entwickelte sich die Systematische Musikwissenschaft immer mehr. Karbusicky setze im Vergleich zur Tradition Reineckes andere Schwerpunkte am Institut. Während Reinecke sich mehr auf technisch-akustische Aspekte der Systematischen Musikwissenschaft fokussierte, behandelte Karbusicky v. a. Musik im Kontext von Semantik, Semiotik und Soziologie.40 Zu Beginn der 1980er Jahre wurden sogar in manchen Semestern mehr Veranstaltungen in der Systematischen als in der Historischen Musikwissenschaft angeboten (s. Abb. 4).41 Seit diesem Zeitpunkt kann wohl von einer Gleichberechtigung der beiden Studiengänge Historische und Systematische Musikwissenschaft an der Universität Hamburg gesprochen werden.

Systematische Musikwissenschaft heute

Heute deckt die Lehre in der Systematischen Musikwissenschaft an der Universität Hamburg das gesamte breite Spektrum von der Musikpsychologie bis zur musikalischen Akustik ab. Zudem werden Veranstaltungen aus dem Bereich der Neurowissenschaften und Musik-Informatik angeboten. Auch die Forschung konnte sich auf der Basis der Teilung der Disziplinen weiter spezialisieren. Hamburg bietet damit Studierenden mit Interesse an der Musikpsychologie und der musikalischen Akustik die einzigartige Möglichkeit diese Fachdisziplinen in Deutschland vertieft und schon in einem grundständigen Studiengang nachzugehen. Die methodische Vielseitigkeit der Systematischen Musikwissenschaft zwischen Geistes- und Naturwissenschaft bleibt trotz eigenem Studiengang weiterhin ein spannendes Feld und wird wohl auch in Zukunft sowohl den Austausch mit anderen Disziplinen, als auch mit der Schwesterdisziplin Historische Musikwissenschaft, beflügeln.

Fazit – Auswirkungen auf Forschung und Lehre

Trotz eines fünf Jahre andauernden und nicht ganz einfachen bürokratischen Weges und einer sich anschließenden fünfjährigen fachlichen Emanzipation, konnte sich die Systematische Musikwissenschaft an der Universität Hamburg innerhalb von ca. zehn Jahren zu einem eigenständigen und gleichberechtigten Studiengang entfalten, der bis heute nichts an Aktualität verloren hat. Diese Entwicklung in Hamburg sucht in Deutschland Ihresgleichen. Bis heute bietet die Universität Hamburg deutschlandweit als einzige Universität den Bachelor of Arts in Systematischer Musikwissenschaft an. Zwar gibt es inzwischen einige Bachelor- und Masterstudiengänge mit Schwerpunkten im Bereich der Systematischen Musikwissenschaft, allerdings ist dies das Ergebnis einer jüngeren Entwicklung. Die hier beleuchtete Trennung, die sich bereits in den 1970er Jahren vollzog, ist also umso erstaunlicher.

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„Viel zu prunkvoll für Studenten …“ – Zur Geschichte des Institutsgebäudes in der Neuen Rabenstraße

Von Bernhard Ruhl

Abbildung 1: Berthold Maaß, Kommentar zum Objekt Neue Rabenstraße 13, 25. April 1927, Staatsarchiv Hamburg, 361-5_II_G_e_3 Bd. 1

„viel zu prunkvoll“… – so kommentierte Regierungsrat Berthold F. Th. Maaß das Schreiben der Hambur­ger Studentenhilfe e. V. vom 9. April 1927 an die Hochschulbehörde, worin die beson­dere Eignung des Hauses in der Neuen Rabenstraße 13 als Studentenhaus dargelegt wurde (s. Abb. 1).1 Am Ende langer Bemühungen konnte die Hamburger Studen­tenhilfe letztlich doch dieses „zu prunkvolle Haus“ erwerben, in dem heute die beiden musikwissenschaftlichen Institute sowie die Universitätsmusik beheimatet sind.

Zu beiden Seiten bedrängt von modernen Funktionsbauten, wirkt die ehemalige Villa wie ein Relikt vergangener Zeiten – die hier beheimatete Historische Musikwissen­schaft scheint diesen vergangenheitsbezogenen Aspekt noch zu unterstreichen, beschäftigt sie sich doch mit Themen, die bis zu den Anfängen der Musiktheorie und Notation in der griechischen Antike bis zur Musik der Gegenwart reichen. Die Syste­matische Musikwissenschaft weist ein Spektrum von ersten Erklärungsversuchen des Phythagoras zur Harmonie der Töne sowie ihrer Intervalle bis hin zur Musik im Kon­text moderner neurowissenschaftlicher Untersuchungen auf.

Im Folgenden soll der Weg von der großbürgerlichen Villa bis hin zu ihrer heutigen Nutzung sowie der damit verbundenen baulichen Veränderungen in groben Zügen nachgezeichnet werden.

Die Entstehungszeit der Villa

Frankreich wurden nach dem Deutsch-Französischen Krieg (1870–1871) Reparations­leistungen in Höhe von 5 Mrd. Francs in Gold2 aufgebürdet. Diese Einnahmen brach­ten dem Deutschen Reich einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung („Gründer­jahre“), der u. a. einen Bau-Boom auslöste. Der Architekt und Bauunternehmer Hans Rackwitz erstellte als Bauträger seit etwa 1880 in Hamburg Villen, so auch jene in der Neuen Rabenstraße 13.3

Das Haus wurde nach seiner Fertigstellung 1884 zunächst an den Mitinhaber einer chemischen Fabrik, Dr. Carl Beit, verkauft und bereits 1889 an C. Pfeiffer weiter­veräußert. 1912 erwarb der Ostasien-Kaufmann und spätere Senator Johann Hinrich Garrels das Gebäude.4 Garrels war seit Januar 1917 bis zu seinem Tod (4.11.1920) Senator der Freien und Hansestadt Hamburg. Die anfänglich raschen Eigentümer­wechsel indizierten keine finanziellen Probleme, sondern den rasch wachsenden Wohl­stand, der sich im Erwerb größerer Immobilien in exponierteren Wohnlagen aus­drückte.5

Hamburger Studentenhilfe e. V.

Die allgemeine Not6 nach dem I. Weltkrieg traf auch die Studentenschaft hart. Damals entstanden in vielen Universitätsstädten „Studentenwerke“ als private Selbsthilfeein­richtungen. Die Initiative zur Gründung des Vereines Hamburger Studenten­hilfe e. V. (1921/1922) ging von Universitätsangehörigen und Privatleuten aus, die den Studierenden auf unterschiedlichste Weise, insbesondere durch regelmäßige Speisun­gen, helfen wollten.7

Ab 1925 setzte eine intensive Suche nach einem geeigneten Ort ein, an dem die ver­schiedenen Hilfen einschließlich der dringend benötigten Mensa zentral und universi­tätsnah angeboten werden konnten. Die Suche gestaltete sich überaus schwierig, da die Anforderungen, die das künftige „Studentenhaus“ erfüllen sollte, ebenso vielfältig waren wie die finanziellen Probleme, die es zu überwinden galt. Es wurde intensiv eine Vielzahl von Optionen geprüft, die sich jedoch sämtlich als ungeeignet erwiesen.8

Eine Offerte wurde allerdings nicht weiter in Betracht gezogen. Mit Datum vom 21. April 1927 erhielt der Rektor der Universität ein Schreiben, in dem der Bau eines Studentenheimes (einschließlich einer Mensa) angeboten wurde, „in welchem selbst­verständlich die alkoholgegnerischen Anschauungen des Guttempler-Ordens zur Geltung gebracht werden, indem das Hineinbringen von alkoholischen Getränken nicht erlaubt wird und für dessen [des Studentenheimes] Benutzung seitens der Studentenschaft aber nicht die Alkoholenthaltsamkeit gefordert wird“.9 Warum dieses Angebot nicht näher geprüft wurde, war nicht zu ermitteln.

Das Studentenhaus
Abbildung 2: Argumente für die Neue Rabenstraße 13, Staatsarchiv Hamburg, 361-5_II_G_e_3 Bd. 1

Am vielversprechendsten erschien letztendlich die Option, die „Garrels-Villa“ zu erwer­ben. Die Nähe des sehr gut erhaltenen Hauses zum Universitätsgelände, der eher gering eingeschätzte Bedarf an Umbauarbeiten sowie die für die verschiedenen Aufgaben der Studentenhilfe gut geeigneten Räumlichkeiten sprachen für den Kauf dieser Immobilie. Diese Vorzüge werden in dem bereits erwähnten Schreiben der Hamburger Studentenhilfe vom 9. April 1927 an die Hochschulbehörde zusammengefasst (vgl. Abb. 2).

Die Vertragsverhandlungen mit den Erben Garrels zogen sich hin, doch letztendlich konnte die Villa in der Neuen Rabenstraße 13 noch im Jahr 1927 erworben werden. Die Finanzierung setzte sich aus Eigenmitteln der Hamburger Studenten­hilfe, Spenden von Universitätsangehörigen, Hamburger Unternehme(r)n, Darlehen des Deutschen Studentenwerkes (Dresden) und der öffentlichen Hand zusammen.10

Die ersten kleineren Aus- und Umbauarbeiten betreute der Architekt S. Koyen. Dort, wo sich zuvor der Wintergarten befand, entstand 1928 eine Mensa. Die Einrichtung der Räume erfolgte in Eigenleistung und dank vieler (Sach-)Spenden. Am 20. April 1928 wurde das umgestaltete „Studentenhaus“ feierlich eröffnet, worüber die Hamburger Zeitungen ausführlich berichteten.11

Abbildung 3: Bildausschnitt aus: „Einweihung des Hamburger Studentenhauses“, in: Hamburger Nachrichten (Abendausgabe), 16.5.1928
Rege Annahme – neue Platzprobleme

Das Studentenhaus wurde sehr gut angenommen und rege genutzt, was bald zu neuen räumlichen Problemen führte. Bei den Vorüberlegungen zur Errichtung einer mensa academica in der Garrels-Villa war man von täglich etwa 300 bis 400 auszugebenden Essen ausgegangen. Worauf sich diese Annahme stützte, konnte nicht eruiert werden, denn bereits in einem Schreiben der Hamburger Studentenhilfe vom 28. April 1922 wurde ein deutlich höherer Bedarf – zusätzlich zu der bereits im Grindelhof 40 vorhandenen Mensa – genannt: „wir müssen eine Speiseanstalt haben, in der täglich zwischen 700–1000 Studenten essen können.“12

Tatsächlich stieg die Zahl derer, die die Mensa in der Neuen Rabenstraße 13 nutzten, sehr schnell auf 800 und Anfang 1929 sogar auf 1.000 Mahlzeiten täglich!13 Dieser Andrang war in den dortigen Räumen nicht zu bewältigen, so dass erneut dringend neue Lösungen gefunden werden mussten. In einem Vermerk vom 24. Juni 1929 wurde festgestellt, dass für eine angemessen große Mensa ein Neubau notwendig sei und das Gebäude in der Neuen Rabenstraße 13 dann ausschließlich als universitäres Institut genutzt werden könnte.14

Eine kurzfristige Abhilfe brachte 1929 ein weiterer Umbau, bei dem die vorhandene Mensa durch einen erweiterten Anbau – den heutigen großen Hörsaal – ersetzt wurde. Die Verlegung des Eingangsbereiches zur Straßenfront hin brachte zusätzlich nutz­baren Raum. Das Erscheinungsbild der Villa änderte sich hierdurch deutlich, was durchaus als bewusster Protest (oder zumindest als deutliche Abgrenzung) gegen das Bürgertum beabsichtigt war.15 Die Wiedereröffnung erfolgte am 30. Oktober 1929.

Das Studentenhaus im Dritten Reich

Die Hamburger Studentenhilfe sowie die AStA verfolgten anfangs keine politischen Ziele. Sie sahen sich als Vertretung der nicht korporierten Studenten und den Schwer­punkt ihres Engagements in der sozialen Hilfe und Unterstützung von Studierenden.16 Deshalb fanden bis Anfang der 1930er Jahre keine politischen Veranstaltungen im Studentenhaus statt.17

Gemäß der Satzungsänderung vom 7. Juli 1933 wurde die Hamburger Studentenhilfe zum „Studentenwerk Hamburg e. V.“18 Bereits kurz nach der Machtergreifung wurde der Druck auf die Studierenden bzw. deren Verbindungen an den deutschen Universitäten massiv verstärkt, sich in die „Nationalsozialistische Deutschen Studenten­schaft“ einzufügen.19 Korporierte oder freie Studentenvereinigungen waren seit 1938 endgültig verboten.20

Erschreckend schnell und widerspruchsfrei wurde nun selbst ein kleiner Reparatur­auftrag mit dem Hitler-Gruß unterzeichnet.21 1936 erfolgten nochmals kleinere Um­bauten im Dachgeschoß, die das zuständige Reichsministerium mit 30.000 RM unterstützte. Die entstandenen Büroräume wurden von Funktionären der Studentenschaft, des Studentenbundes sowie des Gaustudentenbundes genutzt und standen somit anderen Studierenden nicht zur Verfügung.22

Neubeginne: Einzug von Militärregierung und Musikwissenschaft

Das Gebäude Neue Rabenstraße 13 hatte den II. Weltkrieg mit nur leichteren Schäden überstanden. Im Juni 1945 wurde die „Studentenhilfe Hamburg e. V.“ neu gegründet und ihr das Eigentum an der Immobilie übertragen. Das Haus wurde allerdings umgehend von der britischen Militärregierung – mit ausdrücklicher Billigung des Hamburger Senats – für Freizeitzwecke der Besatzungsmacht requiriert. Wiederum stand den Studierenden zunächst weder eine mensa academica noch ein Studentenhaus als Begegnungsstätte zur Verfügung. 1947 konnte dann eine Mensa sowie ein Studen­tenwohnheim in der Tesdorpstraße 20 bereitgestellt werden.

Nach langen Verhandlungen23 erfolgte zwar die formale Freigabe im Dezember 1951, jedoch musste das Haus nun umgehend an das britische Information Centre „Die Brücke“ vermietet werden.24 Zunächst wollte die britische Besatzungsmacht die Kosten für die von ihr gewünschte Umgestaltung der früheren Mensa für Theater-, Film- und Varieté-Aufführungen, die dem Raum sein jetziges Aussehen gaben, zu den deutschen Reparationsleistungen hinzurechnen. Letztlich übernahmen die Briten diese Kosten selbst.

Die ursprünglich angedachte Mietdauer von zwei Jahren wurde erheblich ausgedehnt und erst „Ende 1961 zogen Universitätsinstitute in das Gebäude ein“.25 Nutznießer waren die Musikwissenschaft sowie die damalige Akademische Musikpflege, bestehend aus den Collegia musica der Universität Hamburg, die nun in der ehemaligen Mensa proben konnten. Der damalige Universitätsdirektor Jürgen Jürgens verlegte die Proben des ihm schon zuvor gegründeten und nicht der Univer­sität angehörigen Monteverdi-Chores ebenfalls in diesen Raum. Seinen externen Chor setzte er hinfort – nicht immer zur Freude der Studierenden – bei universitären Konzerten ergänzend zum Chor der Universität ein.26

Unsichere Zukunft

Bereits Ende 1979 wurden Teile des Musikwissenschaftlichen Institutes wegen Ein­sturzgefahr des Gebäudes gesperrt werden.27 So durfte die Fachbibliothek nicht mehr genutzt werden; die Schallplatten- und Buchbestände wurden zunächst im Keller­geschoß eingelagert. Im Dezember 1981 kam es dann zu einer Vollsperrung des Gebäudes, da weitere Untersuchungen gravierende Schäden an tragenden Teilen des Hauses ergeben hatten.

Die Lehrveranstaltungen wurden für längere Zeit behelfsmäßig an verschiedenen anderen Orten der Universität durchgeführt. Es stellte sich die Frage, ob das Gebäude abgerissen und ein Ersatzbau vorgenommen werden sollte. Die Universität entscheid sich schließlich für eine Grundsanierung,28 die dann im Jahr 1985 endlich abgeschlossen werden konnte. Die Wiedereröffnung des Institutes erfolgte am 3. Mai 1985.

***

Möge diese ehemals „zu prunkvolle“ Villa, die sich trotz aller baulichen Veränderungen immer noch etwas von ihrem Charme bewahren konnte, der Musikwissenschaft sowie der Universitätsmusik noch lange erhalten bleiben.

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